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Zeit für Kinder – Familienverantwortung von Vätern Der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte hat nicht vor den sozialen Rollen von Mann und Frau haltgemacht. Die traditionelle Rollenaufteilung bei dem der Vater allein für die Erwerbsarbeit und die Mutter allein für den Haushalt und die Kinder zuständig ist, wird von neuen Modellen abgelöst. Ein Hauptmotiv der Entwicklung sind offenbar ökonomische Veränderungen, die es erfordern, dass eine Familie regelmäßig mehr als ein Haushaltseinkommen benötigt. Klassisch-männliche Berufsfelder in Schwerindustrie und Produktion sind zurückgegangen. Parallel hat sich ein Dienstleistungssektor etabliert, in dem allerdings geringere Vergütungen erreicht werden. Die Sicherung der Lebenshaltung durch weitgehend ungebrochene Berufsbiographien gehört der Vergangenheit an. Unsichere Anstellungsverhältnisse sind weiterhin im Anwachsen begriffen. Für die meisten Frauen ist es heute selbstverständlich, ihre Ausbildung zur Bestreitung eines eigenen Einkommens auch einzusetzen. Dabei arbeiten Viele in reduzierten Beschäftigungsverhältnissen, wenn Klein- und Schulkinder zur Familie gehören oder Angehörige der Pflege bedürfen. Frauen definieren sich längst nicht mehr als die „Familienexpertinnen“. Desweiteren haben sich die Erwartungen an Partnerschaften geändert. Zum einen nimmt die Vorstellung generell ab, die Familienaufgaben müssten getrennt nach Erwerbs- und Familienarbeit aufgeteilt werden. Eine unausgesprochen verpflichtende Rollenzuweisung an Männer, ein alleiniges Familieneinkommen einzubringen, besteht nicht mehr. Die Tatsache, dass dennoch überwiegend Mütter ihre Berufstätigkeit unterbrechen und/oder verringern, folgt oft allein pragmatischen wirtschaftlichen Berechnungen, da nach wie vor das durchschnittliche Einkommen von Männern (aus verschiedenen Gründen) höher ausfällt. Zum anderen hat sich sowohl im öffentlichen Bewusstsein als auch in der persönlichen Einstellung der Paare ein relativ neues Idealbild der Gestaltung von familiären Beziehungen herausgebildet. Von Vätern wird gewünscht, sich emotional intensiv auf die Beziehung zu ihren Kindern einzulassen. Von der anderen Seite aus betrachtet: Vätern wird heute (wieder) zugebilligt, dass ihre Präsenz in der Familie eine wichtige Auswirkung auf die Entwicklung ihrer Kinder ausübt. Jüngere Männer (und ihre Frauen) wollen eigene Erfahrungen mit Vätern, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit und ihres Selbstverständnisses für ihre Kinder oft nicht greifbar waren, überwinden. Väter sehen sich heutzutage nur noch zu weniger als einem Drittel als ausschließliche „Familienernährer“ (29%), die Mehrheit von knapp drei Vierteln lehnen eine Beschränkung auf die Brotverdienerrolle ab (71%). Gut ein Drittel der deutschen Männer insgesamt (37%) und sogar fast zwei Drittel der sog. „neuen“ oder „modernen“ Männer (61%) würde gerne ihre Berufstätigkeit unterbrechen und in die Elternzeit gehen. Immerhin hat sich der Anteil der Väter, die das Elterngeld tatsächlich wahrnehmen, von jahrzehntelang konstanten rund 3 % auf über 20 % erhöht. Ein Viertel der deutschen Männer (25%) wünschen sich (mehr) Kinder. Zunehmend mehr Väter sind nicht mehr bereit den Beruf an die erste Stelle zu setzen. Sie entwickeln zunehmend den Anspruch, Zeit mit den Kindern zu verbringen und auf lange Sicht einen Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben möglich zu machen (Barometer Familienfreundlichkeit). Damit einher geht die Entdeckung der Bedeutung der Väter für die Entwicklung der Kinder. Sie ist in zahlreichen Veröffentlichungen (z.B. Jean le Camus, Väter; Heinz Kindler, Väter und Kinder; Horst Petri, Väter sind anders, u. a.) dargestellt worden. Eine aktive Beteiligung der Väter an der Erziehungsarbeit in der Familie hat nachweislich positive Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung der Kinder. „Väter haben Kinder“ Diese Entwicklungen treffen auf aktuelle und abzusehende demografische Umwälzungen der Gesellschaft. Um deren Zukunftsfähigkeit zu sichern, bedarf es einer neuen Akzeptanz für Kinder. Die Bereitschaft von Erwachsenen, ihr Leben für die Begleitung und Erziehung von Kindern zu öffnen, bedarf gezielter Unterstützungs- und Hilfsangebote. An dieser Stelle müssen Väter verstärkt einbezogen werden. Oft fehlt eine gesellschaftliche Akzeptanz für die Erziehungs- und Pflegeaufgaben der Väter und ein Klima, das Mut macht Spielräume zu nutzen und die Wahrnehmung von Erziehungsaufgaben verantwortlich auszufüllen. Väter wiederum sind aufgefordert, den Kindern Beziehungsangebote zu machen, ihnen körperliche Nähe und Geborgenheit zu vermitteln und sich Zeit für ihre Kinder zu nehmen. Sie sollten als „Dritter“ neben der Mutter für die Kinder erfahrbar sein. Sie helfen auf diese Weise dem Kind, gerade in den ersten Lebensjahren, den erforderlichen Ablösungsprozess von der Mutter zu erleichtern. Wichtig ist, so zeigt die aktuelle Forschung, dass das Kind „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ erfährt. Darüber hinaus ist es für Jungen von besonderer Bedeutung, im Vater eine gleich- geschlechtliche Identifikationsfigur zu erleben. Sie brauchen für ihre Identitätsentwicklung die Orientierung an einem männlichen Vorbild. Balance von Familie, Beruf und Freizeit Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bisher meist im Kontext von Frauenförderung diskutiert, zunehmend auch für Väter eine entscheidende Frage wird. Der gesellschaftlichen Erwartung nach mehr „Vater“ und dem Bemühen der Väter, die Verantwortung für ihre Kinder in diesem Kontext zu gestalten, stehen immer noch viele Hindernisse im Wege. Die Arbeitsbedingungen lassen nur in wenigen Bereichen (z. B. im öffentlichen Dienst) eine paritätische Verteilung der Arbeit zwischen Vätern und Müttern zu. Familienbildung, Kindertagesstätten, Beratung, Schule etc. – alles Einrichtungen, für die die Arbeit mit den Eltern ein wesentlicher Faktor darstellt – könnten dabei behilflich sein, schon jetzt Väter und Mütter zu unterstützen. Es stellt sich die Frage: Was kann getan werden, um den Prozess zum Wohle der Kinder aktiv zu unterstützen. Familienpolitik muss auch Väter-Politik sein „Wir können die Leistungen gar nicht hoch genug achten, die Familien tagtäglich erbringen. Darum ist es mehr als nur eine Privatsache, ob Familien entstehen können und wie es ihnen geht in unserem Land. Wir müssen alles tun, um die Familien zu schützen und bei Fürsorge und Erziehung zu unterstützen - das ist mit gutem Grund ein Auftrag unseres Grundgesetzes. Vielleicht sind wir diesem Auftrag zu lange nicht gerecht geworden und haben den Wert der Kinder für ihre Eltern und für die gesamte Gesellschaft schlicht vernachlässigt. Deshalb ist es gut, dass es nun eine intensive Debatte darüber gibt, was die Politik für die Familien tun kann. Da ist längst nicht allein die Bundesregierung gefragt. Wir alle sind gefordert: Was können Staat, Gesellschaft, was kann jeder Einzelne dazu beitragen, dass der nach wie vor bei ganz vielen jungen Menschen bestehende Wunsch nach einer Familie Wirklichkeit wird? Was brauchen junge Menschen, um sich für Kinder zu entscheiden? Was brauchen sie, um ein gutes Familienleben führen zu können?“ Dieses Zitat stammt aus einer Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, die dieser vor einigen Jahren in der Evangelischen Akademie Tutzing gehalten hat. Wenn der Bundespräsident eine Grundsatzrede zur Familienpolitik hält, so ist dies ein unzweifelhaftes Zeichen für einen hier auf breiter gesellschaftlicher Basis reklamierten Reformbedarf. Das hat sich, auch wenn die Rede schon sechs Jahre zurückliegt, nicht geändert. Über Familie und ihre Förderung wird ständig nachgedacht. Das ist wichtig und notwendig. Männer haben heute davon auszugehen, dass die Erwerbstätigkeit für viele Frauen wesentlicher Bestandteil ihres Selbstverständnisses und ihrer Identität ist. Deshalb ist ein stärkeres familiengestalterisches Handeln von Männern unumgänglich, weil zum einen Frauen das wollen (wegen ihrer verstärkten Teilnahme an der Erwerbsarbeit), aber auch, weil zum anderen die Kinder das brauchen. Viele Männer haben sich bereits für eine ausgeglichenere Rollenverteilung zwischen Erwerbs- und Familienarbeit entschieden. Sie nehmen die Möglichkeiten der Elternzeit in Anspruch, nutzen Angebote zur Teilzeitarbeit oder arrangieren die geteilte Familienarbeit anderweitig. Für sie hat das klassische Männerbild, das ihnen ausschließlich den „Außenbereich“ des Berufes zuweist, längst die Attraktivität verloren. Sie erwarten von der verbindlichen Nähe zu den Kindern und der gleichberechtigten Beziehung zur Partnerin eine Steigerung der Lebensqualität jenseits von Konkurrenz und Erfolg. Immerhin hat sich während der letzten Jahre die Quote der Väter, die Elternzeit in Anspruch nehmen, von unter 3 % auf über 25 % erhöht. Dass die meisten Väter lediglich zwei Monate Elternzeit nehmen, hat im Wesentlichen damit zu tun, dass der Mann immer noch der besser verdienende ist und sich viele Paare eine andere Aufteilung kaum leisten können. Zudem ist auch ernst zu nehmen, dass die Widerstände in den Firmen noch lange nicht ausgeräumt sind. Es ist Aufgabe des Staates, die Bedingungen für das Leben in den Familien zu verbessern. Es ist zwingend erforderlich, die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern weiter abzubauen und auszugleichen, um so auch den Frauen die Möglichkeit zu geben, das Einkommen der Familie zu sichern. Hier ist auch die Wirtschaft gefordert. Die heute vielfach erhobene Forderung nach längerer Arbeitszeit wird die Realisierung des Wunsches vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach mehr Zeit für Familie und Partnerschaft torpedieren und damit eine Verfestigung traditioneller Rollenaufteilung bewirken. Familien sind so zu unterstützen, dass sie gegenüber anderen Gruppen nicht benachteiligt werden und Kinder nicht zum Armutsrisiko werden.