Praxishandbuch Grundlagen Themenstellungen Arbeitsfelder Praxisbeispiele
Väter-Aktion in der Arbeitswelt "Ich bin kein Feierabend-Papi mehr" Die Wanderausstellung "Es ändert sich alles - Väter in Elternzeit" (*) Initiatoren: Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt Flensburg und Bündnis für Familie in der Region Schleswig/Flensburg Ein Vater mit seinen drei Kindern am Nordostsee-Kanal. Ein Bild in Farbe und in Schwarz-Weiß. Im Vordergrund Gras und Büsche, Auf dem Kanal ein Containerschiff - unterwegs von Ost nach West. Die Fähre verbindet beide Ufer, transportiert Menschen und Autos und Material. Da gibt es viel zu gucken. Sommer am Kanal. Ozeanriesen gleiten über Felder und durch Wiesen. Blütendüfte über sonnengewärmter Erde, vertraute Geräusche, vertraute Heimat. Und da die andere, weite Welt der Schiffe, große wie kleine, die in kürzerem oder längerem Takt die Ufer beidseitig grüßend den "Kiel Kanal" durchpflügen und so für Minuten das Ferne mit dem Nahen verbinden, das Fremde mit dem Vertrauten versöhnen, das Überschaubare mit dem Unbekannten verknoten. Am Kanal sein, das ist der Lieblingsort für Bert Ivers und seine drei Söhne Jonah, Joschua und Joel, der da auf Vaters Schoß sitzt. Der 46- jährige Krankenpfleger war elf Monate in Elternzeit, zehn Monate allein, einen Monat gemeinsam mit seiner Frau. Bert Ivers unterscheidet in seinem Leben zwei Hälften. Das "alte" Leben währte bis Ende Zwanzig und war bestimmt von einer Alkoholerkrankung. Das neue Leben als "Trockener", als Ehemann und dreifacher Familienvater ist für ihn gleichbedeutend mit Gesundheit, Glück, Sinn und Freude. Bert Ivers hat jetzt alles, was er früher nicht hatte haben wollen: Eine Frau, Kinder, ein Haus mit Garten. All das war früher für ihn der Inbegriff von Spießigkeit. Darum lautet der Kernsatz unter diesem Bild: Frau und Kinder, Haus und Garten - ein Leben, das stimmig ist. In einem Besprechungskreis haben wir dieses Foto betrachtet. Die Frage tauchte auf: Ist dieses Foto, ist ein solches Foto authentisch, ist es echt, glaubwürdig oder nicht? Die Aufnahme ist kein Schnappschuß, kein Zufallsprodukt, zweifellos, es ist eine collagierte, fotografische Komposition, ein Fotokunstwerk, ein Konstrukt und genau das war die Intention. Eine authentische Komposition: Reale Väter mit ihren realen Kindern in einer realen Situation, nicht bezahlte Profis mit gecasteten Kindern vor Studiokulissen. Und doch, natürlich, sind hier mehrere Realitäten ineinander und miteinander verschränkt. In die Fotos ist eine Gleichzeitigkeit hineinkomponiert. Gewiß, die Fähre legt nicht ab, wenn ein Container-Riese naht. Das wäre fahrlässig und könnte schreckliche Konsequenzen zeitigen. Und da ist in schwarz-weiß der Vater Bert Ivers mit Joel auf dem Schoß, ihm etwas vorlesend oder zeigend. Und Joel, dem geht es richtig gut auf Vaters Schoß. Hört er ihm eigentlich zu oder hat er etwas viel Interessanteres entdeckt, das seine Aufmerksamkeit bannt? Oder kreist seine angeregte Phantasie um das Erzählte und er reagiert darauf auf seine Weise - fröhlich plappernd? Und wo sitzen die beiden? Natürlich nicht in den Wolken über dem Kanal. Es ist eine andere Szene, aufgenommen auch am Kanal oder zuhause in Havetoft. Das spielt keine Rolle. Dieses hineinkomponierte Vater-Sohn-Idyll ergänzt die Szene der beiden sitzend auf dem Poller. Der Vater zeigt Joel etwas und der guckt in die gewiesene Richtung. Und beiden großen Söhne? Sie haben etwas mehr Abstand zum Vater, sie sind ja auch älter. In der Mitte der größte, Joschua, der zeigt und erklärt. Der weiß schon Bescheid. Und Jonah, steht links von ihm und guckt und hört. Der Handewitter Fotograf Falk Bärwald hatte nicht den Auftrag, Väter mit Kindern fotografisch zu porträtieren. Seine Herausforderung bestand darin, Beziehungen sichtbar zu machen. In den alltäglichen Szenarien das Nicht-Sichtbare, das Innere, die Zuneigung, die liebende Fürsorge, die Freude, den Vaterstolz, vielleicht auch die Verantwortung sichtbar werden zu lassen. Es sollten Bilder werden, die aus sich heraus Geschichte erzählen auch ohne textliche Erläuterungen, die es natürlich gibt. Es sollten Aufnahmen werden, deren Aussageduktus nicht eindeutig, eindimensional ist, weil das Leben, das sie spiegeln, nicht eindeutig ist. Leben ist immer mehrdeutig, ja vieldeutig, komplex, es erklärt sich und verbirgt sich, es ist beschreibbar und unbegreifbar. Wer begreift das Leben? Wer begreift etwa die Geburt eines Kindes? Kann man so etwas überhaupt begreifen, verstehen? Falk Bärwald hat in seinen Foto-Kunstwerken die Realität der jeweiligen Situation verdichtet. Wirklichkeit zu verdichten, kann bedeuten, die Welt des Erlebens zu potenzieren und zu transzendieren. Verdichtung lässt Wahrheit aufscheinen, macht das "Ewige im Jetzt" ahnbar, um es mit einem Buchtitel des Theologen Paul Tillich zu umschreiben. Die Tiefendimension der Aufnahmen lädt ein zu Interpretationen, regt an zum Gespräch, provoziert Zustimmung und Kritik. Das ist gut, das ist gewollt. Die Initiatoren der Wanderausstellung "Es ändert sich alles - Väter in Elternzeit" möchten helfen, die Elternzeit für Väter zu popularisieren, den ethischen Normen- und Paradigmenwechsel hin zu einer partnerschaftlichen Teilung von Familien- und Hausarbeit zu befördern und damit einen Beitrag zu leisten zum gesellschaftspolitischen Diskurs. In der Jugendsprache. Unsere Botschaft lautet: Ein Mann, der Vater ist, sich auf Familie und Kinder einlässt, dafür Elternzeit nimmt und seinen Beruf eine Zeit lang hintanstellt, der ist cool. Wer das ablehnt und beispielsweise an der traditionellen Rollenverteilung festhält, warum auch immer, der ist uncool. Die Welt ist nicht schwarz-weiß, aber manchmal müssen Botschaften ganz einfach sein. Den Initiatoren der Ausstellung war bewusst, dass am Ende des Projektes "schöne Bilder" stehen würden, Bilder, die Väter und ihre Kinder in unterschiedlichen, aber durchweg harmonischen Situationen zeigen würden. Daraus schließen zu wollen, es handele sich also wieder einmal um die Präsentation einer "heilen" Familien- Welt - in diesem Falle einer heilen Väter-Kinder-Welt - ist voreilig. Licht- und Schattenseiten der Elternzeit kamen in den Interviews mit den beteiligten Vätern ausführlich zur Sprache und deuten sich in manchen Bildtexten an. Die Gespräche mit den Vätern kreisten auch um den alltäglichen Stress, um die Daueranspannung und den belastenden Zwang zu permanenter Aufmerksamkeit. Manche Tage musste man einfach nur "herumkriegen". Auch ereignisarme Stunden können mühsam und beschwerlich sein. Beklagt wurde die Abwesenheit von Ruhe. "Keine ruhige Minute ist seitdem mehr für mich drin". Dieser Refrain eines Reinhard-Mey-Liedes wurde für so manchen der beteiligten Väter erlebte und erlittene Wirklichkeit. Einer bekannte freimütig, in der Elternzeit vor allem seinen Defiziten auf die Spur gekommen zu sein. Sein ebenso nüchternes wie selbstkritisches Resümee: "Ich hab's gern gemacht. Aber ein zweites Mal gibt es das nicht für mich. Ich bin ein guter Kinderbetreuer, mehr nicht." Andere Väter hingegen würden die Elternzeit ohne zu zögern ein zweites Mal in Anspruch nehmen. Alle aber teilten die Grunderfahrung, die einer von ihnen so ausdrückte: "Ich bin kein Feierabend-Papi mehr". Die Fotos von Falk Bärwald erzählen Geschichten von Glück und Vaterfreuden. Dahinter verbergen sich andere Erfahrungsebenen, die etwas von Sorgen und Ängsten, von Leid und Unruhe wissen. Um ein Kind, das sich jetzt so ausgelassen freuen kann, haben die Eltern nach der Geburt wochenlang gebangt. Ein anderes Elternpaar begleitet die Ungewissheit, ob ihr Kind eine schwere Erkrankung wirklich dauerhaft überwunden hat oder nicht. So wechselhaft ist das Leben mit Kindern: Situationen unfassbaren Glücks, lachender Freude und sprachloser Erfüllung können sich vermischen mit Erfahrungen sorgenvollen Bangens und belastender Ungewissheit. So wie das Leben mit Kindern, so versteht sich diese Ausstellung: Sie zeigt schöne Fotos einer schönen, aber eben nicht heilen Welt. Harald Schrader, Pastor für den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt, Flensburg Foto: Falk Bärwald, Handewitt Zur Ausstellung: Die Ausstellung besteht aus 12 Fotos, Druck auf Alu Dibond, im Format 80 x 60 cm: drei Schrifttafeln (60x40 cm) und einer Überschriftentafel (180 x 50cm). Kosten für den Entleiher nach Aufwand. (*) Kontaktdaten: Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) +) Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland Kirchenkreis Schleswig/Flensburg Pastor Harald Schrader Mühlenstr.19 24937 Flensburg Tel.: 0461/ 50 30 9-35; Fax: 0461/ 50 30 9- 55 Mobil: 0175/1690817 Email: HSchrader@kda-nordelbien.de Internet: www.kda-nordelbien.de/flensburg