Väter – Welterklärer, Mutmacher
Kinder müssen die Welt entdecken. Das geht von einem frühen Alter an über Sprache,
über nachdenken und fragen.
Väter sind meist stolz, etwas erklären zu können. Wer erklären kann, der erlebt, dass er
etwas weiß, etwas verstanden hat. Etwas, das wichtig ist für andere. Und dass er es
weitergeben kann, so dass es anderen sogar nutzt und hilft.
Wenn Kinder sich an einen Erwachsenen wenden (oder wenn ein erwachsener Mann aus
der gemeinsamen Situation heraus das Gefühl hat, jetzt wäre es angebracht, etwas zu
erklären), dann muss der sich in seiner Antwort auf die Perspektive und den Horizont des
Kindes einstellen. Sonst funktioniert es nicht.
Hineinversetzen und Übersetzen
Das ist nicht immer einfach. Seltsam genug, wenn man bedenkt, dass jeder Mensch die
kindliche Perspektive aus eigener Anschauung genauestens kennt. Wir alle waren Kinder
(und tragen immer noch viel Kindliches in uns). Es ist nur so, dass wir mit jedem
Entwicklungsschritt das, was wir erlebt haben, in einen neuen Kontext einordnen. Das
Erleben wird zur Erfahrung. Auf diesem Weg geht nicht selten der Zugang zu dem neuen,
frischen Erleben verloren, das eigentlich mit jeder Entdeckung, jeder Erkenntnis
einhergeht. Kinder sind dem viel näher.
Um einem Kind etwas zu vermitteln, was es (noch) nicht versteht, muss ich mich in diese
Situation (wieder) hineinversetzen. Es kann helfen, zu versuchen, die Frage – die Sache,
die Welt – mit den Augen des Kindes anzuschauen. Dazu gehört auch, ein Gespür dafür
zu bekommen, worum es dem Kind im wesentlichen geht – um Informationen oder um
Beruhigung, wenn etwas Angst macht zum Beispiel.
Wenn mir das gelingt, folgt noch ein Zweites: ich muss übersetzen können. Es handelt
sich ja meistens um komplexe, vielleicht auch komplizierte Sachverhalte, die ein Kind
nicht versteht. Es ist eine Sprache zu finden, die einerseits einfach ist und zugleich
möglichst genau das trifft, was das Kind beschäftigt.
So etwas zu können (bzw. zu lernen), kann sehr befriedigend sein. Im Grunde handelt es
sich um jene oft beschworenen „Softskills“, die ein Vater im besten Falle entwickelt und
die wohl auch im Arbeitsleben oder generell da, wo Beziehungen zu führen sind, gut
ankommen.
Väter brauchen Austausch
Väter können also auf jeden Falle von Kinderfragen profitieren. Auch deshalb, weil sie
Begründungen wollen. Mit ihrem unverstellten Blick graben Kinder oftmals tiefer als wir
das noch gewohnt sind. „Warum?“ ist so eine Grundsatzfrage. „Warum ist das so (oder
das oder das)?“ „Warum soll ich das tun?“ „Warum machen die das so?“ „Warum sind die
so?“ Solche Fragen sind nicht zweckgerichtet. Sie haben nicht schon insgeheim eine
Antwort im Ärmel. Um solche Fragen zu beantworten, muss sich ein Vater nämlich auch
fragen: „Ja, wie ist das eigentlich bei mir? Wie bin denn ich so?“
Ein anderes kleines harmloses Beispiel: „Warum muss ich jetzt schlafen gehen?“ – „Weil es
spät ist.“ – „Aber ich bin noch nicht müde!“ – Aber morgen wirst du es sein, wenn du jetzt
nicht schläfst.“ – „Aber dann kann ich ja morgen ausschlafen.“ – „Nein, das geht nicht.
(Warum?) Wir müssen ja auch früh aufstehen. (Warum?) Und heute Abend will ich noch
etwas Zeit für Mama und mich haben. (Warum?)“
Warum, warum, warum?
Es ist etwas Großartiges, als Vater Welterklärer sein zu können! Es fordert aber auch
heraus. Wenn ich es ernsthaft und gründlich angehe, muss ich nicht nur vorschnelle
Antworten hinterfragen, sondern sehr bald auch mich selbst. Es braucht dafür auch Ruhe
und Zeit und Gespräche. Sicherlich mit der Partnerin, aber gut wäre ein Austausch auch
mit anderen Vätern.
Ein „starker“ Vater
Als das Jahresmotto der Vater-Kind-Aktion 2017: „Papa, ich versteh das nicht“ ausgesucht
wurde, ging das Entsetzen über die Terroranschläge von Paris durch alle Nachrichten.
Inzwischen haben sich ebenso furchtbare Ereignisse in Brüssel wiederholt. Andere,
ähnlich beängstigende Berichte und Bilder verschonen auch nicht unsere Kinder. Es gibt
Sendungen im Fernsehen für Kinder, die Erläuterungen liefern. Man soll generell nicht
dramatisieren und seine eigenen Sorgen unnötig seinen Kindern aufdrängen.
Aber es dürfte nahezu unmöglich sein Kinder, selbst im Kindergartenalter, erst recht
Schulkinder vor solchen beunruhigenden Themen zu behüten. Sie werden überall
öffentlich sichtbar. Tod, Leid und Gewalt gehören zum alltäglichen Dasein. Und es ist
nicht zu unterschätzen, wie die Fantasie von Kindern sich schon an scheinbar kleinen
aufgeschnappten Details entzünden und intensive Ängste oder weitere starke Gefühle
wie Mitleiden entfachen kann. (Und wenn es nur mitbekommt, wie Eltern eine
Schulkameradin nicht mit auf den Weihnachtsmarkt gehen lassen aus Angst vor
Bomben.)
Dann geht es nicht nur darum, Welterklärer zu sein, sondern auch Mutmacher.
Wie kann das gehen? Ein starker Vater zu sein und keine Angst zu zeigen, das kann
helfen. Es ist aber wichtig, damit nicht auch die Angst per se wegzuwischen, wenn sie nun
doch einmal da ist. Bei einem Kind, aber auch beim Vater selbst. Denn auch einen
erwachsenen Mann kann ja eine diffuse Beklommenheit befallen oder auch Ratlosigkeit
angesichts unkontrollierbarer Bedrohungen. Manchmal ist es deshalb paradoxerweise
sogar sinnvoll, nicht alles erklären zu können – und damit zu zeigen: Ich weiß manchmal
keine Antwort – und wir können das aushalten.
Ja, es gibt Böses in der Welt. Und ich bin bei Dir! Das sollst Du wissen. – So könnte die
Botschaft lauten. Es gilt aber auch, sich nicht verrückt machen zu lassen. (Zum Beispiel
von Akteuren in den Medien oder in der öffentlichen politischen Debatte.) Denn es sind
oft eigene persönliche Ängste, die gar nichts mit solchen Ereignissen wie Bombenterror
oder Einwanderung etc. zu tun haben, die sich dann an solche Themen anknüpfen und
dort einen Kanal suchen. Sich die eigenen Ängste einzugestehen und (ohne sie
weiterzugeben) anzuschauen, gehört deshalb quasi zu den „Vaterpflichten“.
Nicht ganz einfach. Aber lohnend. Und auch etwas, das Kinder ihren Vätern schenken,
wenn sie sagen: „Papa, ich versteh das nicht.“